Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen

Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen


Die unmittelbaren Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges auf die europäische Wirtschaft sind verheerend. Die zerstörten Kommunikationsnetze behindern den Transport von Rohstoffen und Fertigprodukten. Die unregelmäßige Versorgung der Industrien und Schäden am Produktionsapparat führen zum Produktionsstillstand, wodurch die Kaufkraft sinkt, während der Bedarf an zahlreichen Gütern wächst. Selbst in den siegreichen Ländern werden die Lebensmittel auch nach Kriegsende weiter rationiert, und durch den Schwarzmarkt kommt es zu gefährlichen sozialen Ungerechtigkeiten. Verbrechen, Jugendkriminalität und Prostitution entwickeln sich. Der gleichzeitige Wiederaufbau der Häuser und Wohnungen, der Unternehmen und der Verkehrswege droht die nationalen Volkswirtschaften zu ersticken. Unter diesen Umständen sind die Menschen hauptsächlich mit Alltagsproblemen beschäftigt und können kaum an eine fernere Zukunft denken. Die Kohlenknappheit im besonders strengen Winter 1946/1947 ist Anlass für Generalstreiks und Massendemonstrationen.


Die Inflation und die Abwertung der Währung, die Erinnerungen an die Wirtschaftskrisen und Börsenkrachs nach dem Ersten Weltkrieg wach werden lassen, veranlassen die europäischen Politiker zu drastischen Maßnahmen. Die anhaltende Kluft zwischen Nachfrage und Angebot an zivilen Konsumgütern treibt die Preise in die Höhe und erhöht die internen und externen Haushaltsdefizite. Die Staaten verschulden sich zur Finanzierung des Wiederaufbaus und zur Überwindung sozialer Ungerechtigkeiten. Im Jahr 1944 lanciert Belgien ein gigantisches Programm zur Sanierung des Franc, indem es den Zahlungsmittelumlauf in Banknoten und Einlagen stark einschränkt. Schlüsselsektoren der europäischen Wirtschaft werden verstaatlicht, und Modernisierungs- und Infrastrukturpläne werden nach und nach umgesetzt. Während in großen Teilen Europas hohe Arbeitslosigkeit herrscht, sind einige Länder paradoxerweise mit Arbeitskräftemangel in Schlüsselsektoren für den wirtschaftlichen Wiederaufbau konfrontiert. Obwohl Tausende deutscher Kriegsgefangener eingesetzt werden, werden große Programme zum Transfer von Arbeitskräften aufgelegt, um vor allem den Bedarf in der Landwirtschaft und der Kohle- und Stahlindustrie zu decken. Unter diesen nicht einfachen Umständen schließen Frankreich und Belgien mit Italien ein Protokoll über Zusammenarbeit und Immigration ab, wodurch Italien die dringend von seiner Wirtschaft benötigte Kohle im Austausch gegen Tausende italienischer Arbeiter, die in ihrer Heimat keine Beschäftigung haben, erhält. Zwischen 1946 und 1955 wandern mehr als 500 000 Italiener in die Länder Westeuropas aus.


Um den Export zu fördern und die Arbeitslosigkeit im Kontext des allgemeinen Wirtschaftswachstums in Europa zu bekämpfen, wertet Großbritannien im Jahr 1949 das Pfund Sterling um 30,5 % seines Wertes in Gold ab. Diese brutale Senkung hat schnell einen Domino-Effekt auf die schwächeren europäischen Währungen. Die Niederlande, die skandinavischen Staaten und Finnland werten ihre Währungen im gleichen Maße ab wie Großbritannien, Deutschland um 25 %, Frankreich um 22 % und Belgien um 12,5 %.



Durch das Elend macht sich Enttäuschung breit und lässt Rufe nach mehr sozialer Gerechtigkeit laut werden. Durch die unzureichenden Löhne und Gehälter kommt es vor allem in Frankreich und Italien zu zahlreichen Streiks. Die sozialen Sicherungssysteme sind durch die hohe Zahl von Invaliden, Witwen und anderen Kriegsversehrten, die eine Rente beanspruchen, schwersten Belastungen ausgesetzt. Somit trägt die ganze Gesellschaft die hohen sozialen Kosten des Krieges. In Fortführung einiger während des Krieges entwickelter Programme oder einer genossenschaftlichen Tradition folgend, ergreifen die europäischen Staaten Maßnahmen zur Stärkung der sozialen Sicherheit und legen somit das Fundament für den modernen Wohlfahrtsstaat.

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