Vom Fall der Berliner Mauer bis zur Wiedervereinigung Deutschlands

Das internationale Problem der Wiedervereinigung Deutschlands

 

Der Zusammenbruch des kommunistischen Blocks am Ende der 1980er Jahre legt nicht nur den Grundstein für die Befreiung der mittel- und osteuropäischen Länder (MOEL), sondern auch für die Wiedervereinigung des seit fast einem halben Jahrhundert geteilten Deutschlands. Im November 1989 setzt der Fall der Berliner Mauer dem Kalten Krieg und der aus dem Zweiten Weltkrieg hervorgegangenen Teilung ein Ende.

 

Im sehr raschen Prozess der Wiedervereinigung Deutschlands, der sich 1990 vollzieht, spielt der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, Helmut Kohl, sowohl auf der innerdeutschen Ebene bei der Eingliederung der DDR in die Bundesrepublik als auch auf der internationalen Ebene bei der Einholung des Einverständnisses der vier ehemaligen alliierten Mächte im Zweiten Weltkrieg und bei der Ausräumung der Bedenken der Nachbarländer eine sehr wichtige Rolle.

 

Die Westmächte hatten zwar im Mai 1980 erklärt, dass sie ein in die Europäische Gemeinschaft eingebundenes wiedervereintes Deutschland mit demokratischen Institutionen anstreben, doch die innerdeutsche Debatte über die Wiedervereinigung weckt Ängste bei den europäischen Nachbarn, die das Gewicht eines wiedervereinten deutschen Staates und das Wiederaufleben pangermanistischer Bestrebungen fürchten. Sie sähen es lieber, die beiden deutschen Staaten würden gute Beziehungen entwickeln und sich allenfalls in einer Konföderation zusammenschließen. Vor allem in Frankreich besteht die Sorge, dass die vom sowjetischen Staatschef Michail Gorbatschow verfolgte Politik der Öffnung dazu führt, dass Deutschland um der Wiedervereinigung willen die Neutralität akzeptiert.

 

Der Status Deutschlands und insbesondere der Berlins kann nur mit dem Einverständnis der vier Siegermächte von 1945 geändert werden. Diese könnten allerdings Sorge haben, dass in der Mitte Europas ein Staat mit 80 Millionen Einwohnern entsteht, dessen politische, wirtschaftliche und finanzpolitische Bedeutung das Gleichgewicht gefährden und die Stabilität bedrohen könnte, zu deren Herstellung die Teilung Deutschlands beigetragen hat.

 

Daher bemühen sich Helmut Kohl und sein Außenminister Hans-Dietrich Genscher um Vertrauensbildung. In seinem Programm vom 28. November 1989 bekräftigt der Bundeskanzler, dass sich die Wiedervereinigung Deutschlands im Rahmen des gemeinschaftlichen Europas vollziehen werde. Zudem sichert er zu, dass das wiedervereinte Deutschland in der NATO verbleiben und sich die Wiedervereinigung in enger Abstimmung mit den Verbündeten vollziehen werde. Der Europäische Rat von Straßburg (8.-9. Dezember 1989) bestätigt dies, indem er die Wiedervereinigung Deutschlands unter folgender Bedingung befürwortet: Dieser Prozess muss sich auf demokratische Weise, „unter Wahrung der Abkommen und Verträge sowie sämtlicher in der Schlussakte von Helsinki niedergelegten Grundsatze im Kontext des Dialogs und der Ost-West-Zusammenarbeit vollziehen. Er muss auch in die Perspektive der europäischen Integration eingebettet sein“.

 

Jenseits dieser Grundsatzpositionen gehen die Meinungen der vier Siegermächte allerdings auseinander: Während Frankreich und Großbritannien keine überstürzte Wiedervereinigung wollen, wird diese von den USA vorangetrieben und die Sowjetunion findet sich vorbehaltlich von Garantien mit ihr ab.

 

In Frankreich wächst die Sorge, dass sich das wiedervereinte Deutschland ungeachtet des Unterschieds der politischen Systeme der Sowjetunion zuwenden könnte, wie dies bereits 1922 mit dem Vertrag von Rapallo und 1939 mit dem deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt geschehen war. Staatspräsident Mitterrand würde es lieber sehen, wenn die Teilung fortbestünde. In diesem Sinne äußert er sich am 6. Dezember gegenüber Gorbatschow in Kiew. Am 22. November kündigt er einen Besuch in der DDR an, den er vom 20.-22. Dezember 1989 abhält, als die Wiedervereinigung nahezu schon beschlossene Sache ist. Mitterrand muss ihr zustimmen, ordnet sie jedoch dem europäischen Einigungsprozess und dem Ausbau der gemeinschaftlichen Institutionen unter. Helmut Kohl bekräftigt angesichts dieser Bedenken, dass die Wiedervereinigung Deutschlands und die europäische Einigung zwei Seiten ein und derselben Medaille seien.

 

Kohl und Mitterrand sind sich einig, dass der Impuls für eine politische Union Europas vom deutsch-französischen Tandem ausgehen muss. Da es an der Zeit sei, „die Gesamtheit der Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten in eine Europäische Union umzuwandeln und diese mit den notwendigen Aktionsmitteln auszustatten“, regen der französische Staatspräsident und der deutsche Bundeskanzler in einer gemeinsamen Botschaft an den Präsidenten des Europäischen Rates vom 18. April 1990 an, parallel zu den laufenden Arbeiten zur Vorbereitung der Regierungskonferenz über die Wirtschafts- und Währungsunion „die vorbereitenden Arbeiten für eine Regierungskonferenz über die Politische Union einzuleiten“. Am 6. Dezember 1990 konkretisieren François Mitterrand und Helmut Kohl schließlich ihre gemeinsame Botschaft vom 18. April 1990, indem sie den Ausbau der Zuständigkeiten der Union, die Erweiterung der Befugnisse des Parlaments, die Stärkung der Rolle des Europäischen Rats und die Festlegung der Bereiche einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) vorschlagen.

 

Für die erfolgreiche Eingliederung des wiedervereinten Deutschlands ist die Stärkung der Europäischen Gemeinschaft durch die Errichtung einer aus einer Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) und einer Politischen Union bestehenden Europäischen Union also unerlässlich. Dieses Ziel wird mit dem Vertrag von Maastricht vom 7. Februar 1992 verfolgt, der vom französischen Staatspräsidenten und vom deutschen Bundeskanzler nachdrücklich unterstützt wird.

 


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