Die Konferenz von Venedig (29.-30. Mai 1956)

Die Konferenz von Venedig


Am 29. und 30. Mai 1956 kommen die Außenminister der sechs Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) in der Fondazione Cini auf der Insel San Giorgio Maggiore in Venedig zusammen, um gemeinsam über den Bericht der Delegationsleiter an die Außenminister zu beraten. Dieser Bericht vom 21. April 1956 war in den Monaten zuvor von dem auf der Konferenz von Messina eingesetzten Regierungsausschuss verfasst worden.


Unter dem Vorsitz des französischen Außenministers Christian Pineau tagen auf der Konferenz außerdem Walter Hallstein (BRD), Paul-Henri Spaak (Belgien), der französische Außenstaatssekretär Maurice Faure, Gaetano Martino (Italien), Joseph Bech (Luxemburg) und Johan Willem Beyen (Niederlande).


In Venedig legen die Minister die Position ihrer jeweiligen Regierung zu den Vorschlägen des Spaak-Berichts dar und stellen ihr Einvernehmen darüber fest, den Bericht als künftige Diskussionsgrundlage für die Ausarbeitung eines Vertrags zur Gründung eines gemeinsamen Marktes und eines Vertrags zur Gründung einer europäischen Atomenergieorganisation (Euratom) zu nutzen. Angesichts der Vorbehalte der deutschen Delegation gegenüber dem Euratom-Projekt beruhigt Christian Pineau seine Partner hinsichtlich der französischen Absichten. Er fordert jedoch, dass der Euratom-Vertrag vor dem Vertrag für den Gemeinsamen Markt verfasst wird. Außerdem schlägt er vor, dass der Übergang von der ersten zur zweiten Phase nicht automatisch nach vier Jahren erfolgen soll, sondern dass im Vertrag genaue Ziele festgelegt werden, die in der ersten Etappe erreicht werden müssen, und dass der Übergang von dieser zur zweiten Phase davon abhängen soll, ob diese Ziele effektiv erreicht werden. Aber Pineau betont gleichzeitig das Anliegen Frankreichs, einen Zusammenhang zwischen der Senkung der Zolltarife und der Harmonisierung der Sozialabgaben herzustellen und zuvor die Fragen der gleichen Entlohnung von Männern und Frauen, des bezahlten Urlaubs und der Überstunden zu lösen. Schließlich kündigt Pineau an, dass Frankreich die Einbindung der überseeischen Länder und Gebiete in den Gemeinsamen Markt zur Vorbedingung für einen Vertragsabschluss macht.


Am Ende der Verhandlungen einigen sich die Minister vor allem auf Folgendes:


- eine gemeinsame Regierungskonferenz wird in Brüssel einberufen, die die Verträge über den Gemeinsamen Markt und Euratom aufsetzen soll;

- Paul-Henri Spaak wird zum Vorsitzenden der Konferenz ernannt, der somit seine Koordinierungsrolle, die er bereits im Regierungsausschuss wahrgenommen hat, fortführen kann;

- die Regierungskonferenz soll ihre Arbeit am 26. Juni 1956 aufnehmen, eine Unterbrechung in der Sommerpause ist vorgesehen;

- die Regierungen vertrauen die Leitung ihrer Delegation einer Person an, die an den Arbeiten des Ausschusses der Delegationsleiter teilnehmen wird;

- die Themenbereiche im dritten Teil des Spaak-Berichts, das heißt die Sachgebiete, die vordringlich behandelt werden müssen (Energie, Luftverkehr, Post- und Fernmeldewesen), sollen von der Arbeitsgruppe der Regierungskonferenz behandelt werden, die sich mit dem Gemeinsamen Markt beschäftigen wird.


Die Minister wollen verhindern, sich zu früh auf technische Details zu konzentrieren und kommen überein, sich regelmäßig zu treffen, um die Berichte über die Arbeiten der Delegationsleiter entgegenzunehmen und alle notwendig erscheinenden politischen Entscheidungen zu treffen. Denn die Außenminister ahnen bereits, dass sie sich zur Frage einer möglichen militärischen Nutzung der Atomenergie und der Einbindung der überseeischen Länder und Gebiete in den Gemeinsamen Markt werden äußern müssen. Angesichts der Komplexität dieser letzten Frage aufgrund des unterschiedlichen Status der betroffenen Gebiete einigen sich die Minister jedoch zunächst darauf, sich erst zu äußern, nachdem sie die Angelegenheit den betroffenen nationalen Gremien vorgelegt haben.


Um der Entschließung von Messina zu entsprechen, beschließen die Minister zudem, dass die zukünftigen Verträge Bestimmungen mit Beitritts- oder Assoziierungsmodalitäten für Drittstaaten enthalten sollen, die gleichberechtigt mit den Sechs kooperieren wollen. Deshalb beschließen sie, die Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit (OEEC), die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), den Europarat und die Europäische Verkehrsministerkonferenz (EVMK) nicht mehr zu den Verhandlungen hinzuzuziehen, sondern sie über deren Verlauf zu informieren.

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